Sehr geehrter Herr Leysle,
gerne möchte ich Sie auf diesem Wege über aktuelle Entwicklungen in der Aufnahme von Spätaussiedler:innen informieren.
Für die Anerkennung als Spätaussiedler:in müssen die Antragssteller:innen nach den Vorgaben des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) ihre deutsche Abstammung, ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum in ihren Herkunftsgebieten sowie deutsche Sprachkenntnisse nachweisen. Im Falle der Anerkennung erhalten Spätaussiedler:innen automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Dieses besondere Privileg dient der Kompensation für die Kriegsfolgen, die deutsche Volkszugehörige in der ehemaligen Sowjetunion erleiden mussten.
Durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2021 sind die Anforderungen an ein „Bekenntnis zum deutschen Volkstum“ erheblich verschärft worden, und zwar für Antragsteller:innen, die zuvor ein sog. „Gegenbekenntnis“ abgegeben haben. Ein solches liegt vor, wenn der oder die Antragsteller:in in amtlichen Dokumenten eine nichtdeutsche Volkszugehörigkeit (etwa die russische) angegeben hat.
Von diesem Gegenbekenntnis muss der bzw. die Antragssteller:in nunmehr wirksam abgerückt sein, um sein Bekenntnis zum deutschen Volkstum nachzuweisen. Nach der o.g. Rechtsprechung genügt es nicht mehr, die Dokumente im Nachhinein anpassen zu lassen. Vielmehr müssen die Antragsteller:innen eine innere Hinwendung zum deutschen Volkstum darlegen, die nach außen hin sichtbar geworden ist. Rein formelle Änderungen in zeitlichem Zusammenhang mit dem Spätaussiedlerantragsverfahren sind nach der Rechtsprechung dagegen als sog. Lippenbekenntnisse unbeachtlich.
Das Bundesverwaltungsamt (BVA) musste seine Verwaltungspraxis an diese neue Rechtsprechung anpassen, da es sich hierbei um höchstrichterliche Rechtsprechung handelt. Diese Anpassung der Praxis hat dazu geführt, dass vermehrt Aufnahmeanträge abgelehnt werden müssen, da die Antragsteller:innen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht als Spätaussiedler:in anerkannt werden können, weil sie die Hinwendung zum deutschen Volkstum nicht hinreichend haben belegen können.
Die Umstellung der Verwaltungspraxis des BVA war aufgrund der höchstrichterlichen Vorgaben unvermeidbar und rechtlich notwendig. Die nach der Umstellung der Verwaltungspraxis vom BVA erlassenen Ablehnungsbescheide wurden bereits vielfach gerichtlich bestätigt.
Mit dem im letzten Jahr veröffentlichten Merkblatt zum Thema Gegenbekenntnis hat das BVA den Betroffenen Hinweise in Bezug auf die neue Verwaltungspraxis gegeben. Aufgrund der hohen Komplexität der Rechtsmaterie stellen die neuen Kriterien der Rechtsprechung eine große Herausforderung für viele Antragsteller:innen dar.
Es steht fest, dass die Entscheidungspraxis des BVA im Einklang mit der aktuellen Rechtslage steht. Das BVA ist selbstverständlich zwingend an die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts gebunden. Wie ich in der Pressemitteilung vom 22. Februar 2023 bereits erklärt habe, berücksichtigt die aktuelle Entscheidungspraxis jedoch nicht die Lebenssituation der Betroffenen in den Aussiedlungsgebieten, so dass ein entsprechender Änderungsbedarf besteht. Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) ist nach meinen Anregungen nun nach einer sorgfältigen Prüfung zum Ergebnis gekommen, dass eine Änderung der aktuellen Situation ohne eine Gesetzesanpassung nicht möglich ist.
Da eine Lösung im Sinne der Betroffenen für mich höchste Priorität hat, habe ich mich für die Änderung der aktuellen Rechtslage eingesetzt. Ich freue mich sehr, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser meine Initiative ausdrücklich unterstützt hat.
Das BMI wird nunmehr Vorschläge zur Anpassung des Bundesvertriebenengesetzes ausarbeiten, die zeitnah mit den Koalitionspartnern in der Bundesregierung abgestimmt werden sollen.
Ich bin guter Hoffnung, dass wir zu einer Lösung kommen können, die es dem BVA wieder ermöglichen würde, Aufnahmeanträge zugleich lebensnah und rechtlich einwandfrei zu bescheiden. Über den weiteren Fortgang des Verfahrens halte ich Sie gern auch auf Basis eines dann hoffentlich vorliegenden konkreten neuen Gesetzentwurfes auf dem Laufenden und freue mich über Ihre Unterstützung.
Hinsichtlich der Problematik des Härtefallverfahrens für die Antragsteller:innen aus der Ukraine dauern die Gespräche zur möglichen Lösung noch an. Ich werde Sie hierzu gesondert in Kenntnis setzen.
Mit freundlichen Grüßen
Natalie Pawlik, MdB