Hausrenovierung dank Spenden

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Im März 2022 wird das Haus von Viktoria Remizova und ihrer Familie in Tschernihiw durch Raketenbeschuss beschädigt. Doch schon nur wenige Monate später kann die Familie dort wieder leben – dank einer Spendenaktion über soziale Medien.

Viktoria soll ihrem Sohn eine Notfalltasche packen, als der 22-Jährige am 23. Februar 2022 zur Nachtschicht als Polizist aufbrechen will. Wechselkleidung soll sie reinlegen, Hygieneartikel und Medikamente. Morgen breche der Krieg aus, habe man ihm gesagt. „Ich lachte noch darüber: Was für ein Krieg denn? Wir leben im 21. Jahrhundert“, erinnert sie sich bei einem Gespräch Ende Dezember vergangenen Jahres. Sie glaubt auch nicht an einen Krieg, als sie wenige Stunden später im Morgengrauen des 24. Februar aufwacht, weil Explosionen und Sirenengeheul zu hören sind. Auch als Freunde an diesem Morgen anrufen und ihr Sohn, der sagt: „Mama, der Krieg hat angefangen. Seid vorsichtig.“ Perplex antwortet sie: „Was heißt das? Sollen wir unsere Sachen packen? Wir werden nirgends hinfahren. Das ist irgendein Blödsinn. Das kann gar nicht sein.“ Das Unfassbare zu begreifen, gelingt Viktoria nur langsam. Und endgültig erst, als Teile einer Rakete am 5. März ihren Innenhof treffen und das Dach ihres Hauses beschädigen. Es ist gegen 22 Uhr. 

Viktoria, ihr Ehemann und der 11-jährige Sohn schlafen seit den Angriffen zu Dritt im Bett, alle drei in Kleidung. Plötzlich hören sie, wie es im Hof kracht und Splitter auf das Dach fallen. Die Druckwelle zerstört auch einige Fenster. „Wir gingen raus und sahen, dass ein Haus in der Nähe brannte. Schnell packten wir unseren Sohn und rannten in den Keller.“ Dort sitzen sie mehrere Stunden. An dieses Ausharren im Keller gewöhnen sie sich bald, denn es wiederholt sich seitdem. „Du gewöhnst dich an alles, an die ohrenbetäubenden Explosionen, an die Angst“, sagt die 40-jährige Viktoria.


Auch noch im Dezember 2022 sind vom Korridor aus Risse in den Wänden zu sehen, über die die Wärme aus dem Haus gelangt.

Auch um den älteren Sohn, der seit der Nachtschicht am 23. Februar Monate lang nicht zu Hause war und immer noch nur selten vorbeikommt. Seine Kollegen und er sind rund um die Uhr im Einsatz: versorgen die Bewohner Tschernihivs mit humanitärer Hilfe, evakuieren Teile der Stadtbevölkerung, auch den Bezirk, wo Viktoria lebt. Es ist ein Vorort, der im März zur „Zone Null“ erklärt wird.

Kampfgebiet also, in das weder Krankenwagen noch Polizei oder Feuerwehr kommen. Ein Bleiben wird auch unmöglich, weil das Haus von der Gas-, Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten sind. Im Haus waren damals gerade mal 2 Grad Plus. Victoria zieht mit ihrer Familie ins Stadtzentrum. Ein Einschlag am 12. März in der Nähe ihres Hauses hatte ein Loch in die Wand gerissen, das Dach und den Heizkessel beschädigt. Im Zentrum sind sie zwar nicht sicher vor Raketenangriffen, aber zumindest finden dort keine direkten Kämpfe statt wie in ihrem Außenstadtbezirk.


Im Frühjahr kehrt die Familie zurück in das Haus, das zunächst getrocknet und von dem Schutt durch die Zerstörungen befreit werden muss.

Als die Kriegshandlungen aufhören, beginnt Viktoria zu ihrem Haus zu fahren, um den Schutt zu entsorgen und die Wände trocken zu bekommen, die beschädigte Wasserleitungen haben feucht werden lassen.

Zunächst sieht es nicht danach aus, dass könnten sie dort schnell wieder einziehen. Doch die Stadt oder gar das Land zu verlassen, kommt für die Familie nicht in Frage. „Ich wollte meinen Sohn und Mann nicht hierlassen. Auch meine Eltern nicht, sie sind über 70. Sie wollten nirgends hinfahren“, so die Ukrainerin mit deutschen Wurzeln. Auch die drei Katzen und zwei Hunde im Stich zu lassen, erscheint ihr unvorstellbar. Für sie steht fest: Sie wird das Haus wieder aufbauen, mit den eigenen Händen, wenn es sein muss.

 
Das Unvorstellbare wird wahr: Noch zum Ende des Jahres 2022 kann das Dach repariert werden, lange stand es auf Viktorias Liste auf der Nummer 1, um geschützt durch den Winter zu kommen.

Was im Frühjahr noch fast unrealistisch erscheint, wird zum Jahresende wahr: Seit Monaten schon wohnen Viktoria und ihre Familie wieder in ihrem Haus am Stadtrand Tschernihivs. Gerade verstärken Handwerker das Dach. Eine neue Außenwand ersetzt bereits die alte, die Fenster sind notdürftig verklebt und der Heizkessel funktioniert wieder. Er hat seine Launen, meint sie, aber unter 15 Grad fällt die Temperatur selten in dem Haus. Wie ist das möglich? Denn über Geldreserven verfügt die Familie nicht mehr. Wegen des Krieges kann Viktoria auch nicht wie davor im kaufmännischen Bereich arbeiten. Es gibt keine Nachfrage mehr, viele Bewohner haben die Stadt seit Monaten verlassen.


Immer wieder posten Viktoria (links) und Switlana Bilder von sich und dem Haus in den sozialen Medien, um den Spendern den Fortschritt der Reparaturen zu zeigen und ihren Dank auszudrücken.

Doch Viktoria hat einen „Schutzengel“, wie sie Switlana Zech vom Rat der Deutschen der Ukraine bezeichnet. Sie fängt nämlich an, zusammen mit Viktoria über sie und ihr Haus in den sozialen Netzwerken zu erzählen und um Spenden zu bitten. Nach drei Wochen sind bereits 20.000 Hrywnja zusammen. Damit kann im ersten Schritt das Fundament für die neue Außenwand gelegt werden. Tag für Tag spenden immer mehr Bekannte und Freunde aus der Ukraine und Deutschland. Viktoria ist überwältigt und kann ihr Glück kaum fassen. Längst sei noch nicht alles repariert, wahrscheinlich werden sie im neuen Jahr einen Kredit aufnehmen müssen, wenn der Heizkessel weiterhin Probleme bereitet. „Aber für den Moment haben wir ein Zuhause, unser Zuhause“, sagt sie. Für sie ist das eine große Hoffnung darauf, dass das neue Jahr Frieden bringt in ihre Stadt und ihre Heimat, die sie nie verlassen will.

 

6 Februar 2023
Autor: Ira Peter, ifa-Kulturassistentin
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