"Deutsche Minderheit im Krieg. Wie geht es ethnischen Deutschen in der Ukraine?“

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"Deutsche Minderheit im Krieg. Wie geht es ethnischen Deutschen in der Ukraine?“

Unter diesem Titel fand am 15. Juni 2022 die erste öffentliche Online-Diskussion mit den Vertretern der deutschen Minderheit in der Ukraine statt. Zu diesem Gespräch luden die Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland und die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Minderheiten (AGDM) in der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) ein.

Das Hauptziel der Diskussion war die Erfahrungen der ersten drei Kriegsmonate von den Leitern der ukrainischen gesellschaftlichen Organisationen der ethnischen Deutschen zu sammeln, um diese dem breiten Publikum darzustellen, sowie nach möglichen Wegen der Unterstützung für die deutsche Minderheit (DMi)  in der Ukraine zu suchen.

Die Veranstaltung wurde von Dr. Marco Just Quiles, Project Director Stiftung Verbundenheit und Research Fellow Freie Universität Berlin, moderiert. Dr. Just Quiles reflektierte gemeinsam mit mehreren Gäste über die Lage der ethnischen Deutschen in den Kriegsgebieten sowie auf der Flucht in Deutschland. Unter seinen Gesprächspartner waren: Wladimir Leysle, Vorsitzender des Rates der Deutschen in der Ukraine (RDU); Diana Liebert, Vorsitzende der Deutschen Jugend in der Ukraine; Olexander Schlamp, Deutscher Honorarkonsul in Czernowitz, Mitglied des Präsidiums des RDU; Julia Taips, Stadträtin der Stadt Mukatschewo, Leiterin der Deutschen Jugend in Transkarpatien, Mitglied des Präsidiums des RDU; Alexander Groß, Pfarrer der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine in Odessa (DELKU) und Olexandra Litschagina, Projektkoordinatorin der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland für Ukraine.

Als Input zur Diskussion erläuterte Hartmut Koschyk, ehemaliger Beauftragter für die Minderheitenfragen und Vorsitzender der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland, was die humanitäre Brücke «Oberfranken - Transkarpatien Ukraine» dank vielen engagierten Freiwilligen aus der Ukraine und Deutschland an täglicher Hilfestellung für alle Bedürftigen leistet.

Anschließend begrüßte die Teilnehmer Bernard Gaida, Vorsitzender des Verbands der Deutschen Gesellschaften in Polen a.D. In den ersten Kriegsmonaten konnte es dank der Freiwilligen der AGDM mehr als zweihundert Familien der ethnischen Deutschen aus der Ukraine geholfen werden. Er betonte, wie wichtig der regelmäßige Austausch unter allen Involvierten sei und wies darauf hin, dass die Unterstützung für die Ukraine kein Sprint, sondern ein Marathon sei.

In der Fragerunde kam Diana Liebert als erste zum Wort. Zu Beginn des Krieges musste sie mit ihrem Kind nach Deutschland flüchten, aber mittlerweile kehrte sie nach ihrer Heimatstadt Lwiw zurück, um die humanitäre Projekte durchzuführen und den Binnenflüchtlingen zu helfen. Diese westukrainische Stadt war von Anfang an einer der Knotenpunkte für Flüchtlinge auf dem Weg in die europäischen Nachbarländer. Viele Vertreter der deutschen Minderheit hatten hier ihre erste Hilfe auf dem Weg nach Deutschland bekommen.

Pastor Olexandr Groß teilte die Einblicke aus seinen vier betreuten Gemeinden der DELKU: viele Mitglieder sind v.a. aus der Stadt Odessa nach Deutschland während den ersten Kriegstage geflüchtet; die weiteren Flüchtlingswellen aus den Dörfer kam etwas später. Die privaten Geldspenden bleiben bis heute das wirksamste Instrument der Hilfestellung für die Bedürftigen.

Als Deutsche Honorarkonsul in Czernowitz machte Olexandr Schlamp ein paar wichtigen Anmerkungen in Bezug auf die Sicherheitslage in der Stadt, die bis jetzt von den Raketenangriffe zum Glück nicht gelitten hatte. In Czernowitz wohnt eine große Anzahl an Ukrainerinnen mit deutschen Wurzeln, die fast alle in der Stadt geblieben sind.

Dank Julia Taips und der NGO “Deutsche Jugend Transkarpatien” wurde in den letzten drei Monaten beeindruckende humanitäre Hilfestellung für die Geflüchteten aus den Kriegsgebieten geleistet. Dies hatte auch eine spürbare Auswirkung auf die positive Wahrnehmung der deutschen Minderheit in Transkarpatien bei der Bevölkerung, obwohl auch vor dem Krieg die Tätigkeit der DMi in der Region sehr hoch geschätzt wurde.

Rat der Deutschen in der Ukraine als Dachverband der DMi musste am Kriegsanfang viele schweren Entscheidungen bezüglich seiner weiteren Arbeit treffen. Dazu berichtete als RDU Vorsitzender Wolodymyr Leysle, der die ersten Kriegstagen mit seiner Familie im Luftschutzkeller in Sumy verbrachte, aber trotzdem in ständigem Kontakt mit den Partnerorganisationen ukraineweit war und sich nun nicht nur um die Hilfe für die leidenden Menschen, sondern auch um den Schutz des deutschen Kulturerbes sowie um die Wahrnehmung Deutschlands in der Ukraine weiterhin kümmern muss. Außerdem wies Herr Leysle darauf hin, dass mehr als 80% der DMi-Vertreter weiterhin in der Ukraine bleiben und auf die Unterstützung des RDU angewiesen sind.

Olexandra Litschagina, die selbst in Odessa geboren wurde und zurzeit die Projektarbeit bei der Stiftung Verbundenheit für die Deutsche Minderheit in der Ukraine betreut, erläuterte wie die aktuelle Umstrukturierung der geplanten Projekte läuft und wie man sich die Planung für das nächste Projektjahr vorstellen kann, falls der Krieg andauert.

In seinem Schlusswort unterstrich Hartmut Koschyk, wie wertvoll es sei, die Debatte zum Krieg in der Ukraine aus den Augen nicht zu verlieren, und die starke Zivilgesellschaft im Lande auch durch die DMi, die ein starker Teil dieser Zivilgesellschaft ist, zu unterstützen. “Wenn es so etwas gibt, wie die deutsche Verantwortung für “Nie wieder”, dann muss diese Verantwortung des “Nie wieder” gerade angesichts dieses barbarischen Angriffskrieges auf die Ukraine heißen, dass wir Deutschen dürfen nie wieder zulassen, dass Diktatur, Barbarei, gravierende Verletzung des Völkerrechts und der Menschenwürde am Schluss die Oberhand gewinnen und siegen”, - zog Herr Koschyk als Fazit aus der Diskussion.

Die volle Videoaufnahme der Diskussion finden Sie unter folgendem Link.

Es ist geplant, eine weitere Online-Diskussion in diesem Kreise durchzuführen, die der Projektplanung sowie den Entwicklungsperspektiven der deutschen Minderheit in der Ukraine gewidmet werden soll.

17 Juni 2022
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